Generative KI (Künstliche Intelligenz) erweist sich für Publisher weltweit als Rorschach-Test. Manche Redakteur:innen starren auf den Tintenklecks und sehen eine existenzielle Bedrohung oder einen Parasiten, der sich in ihrem Journalismus festgesetzt hat, während andere unglaubliche Möglichkeiten sehen. Generative KI kann dazu dienen, mühsame, sogar unmögliche, Aufgaben zu automatisieren oder hyperpersonalisierte Inhalte in großem Umfang zu erstellen.
In beiden Perspektiven gibt es sicherlich Elemente der Wahrheit, aber die Realität der generativen KI ist weder subjektiv noch offen für Interpretationen. ChatGPT, Dall-E, Bard und ihresgleichen sind kein weiteres „helles, glänzendes Ding“, das man leicht abwerten und ignorieren kann. Sie sind äußerst mächtige Werkzeuge, die noch in den Kinderschuhen stecken. Generative KI hat das Potenzial, viele Branchen zu transformieren und die Art und Weise zu verändern, wie wir arbeiten – im Klassenzimmer, im Gerichtssaal und in Nachrichtenredaktionen. In einer kürzlich veröffentlichten Adobe-Belegschaftsumfrage gaben 92 % der Befragten an, dass KI einen „positiven Einfluss auf ihre Arbeit“ hat, und mehr als ein Viertel (26 %) nannte KI ein „Wunder“.
Mit den richtigen Prompts (Eingabeaufforderungen) und Richtlinien kann generative KI bei Zusammenfassungen, inhaltlicher Optimierung und Umnutzung von Inhaltstypen hervorragende Leistungen erbringen. Da die generative KI die Sprachsyntax so gut versteht, sind die Ergebnisse überraschend gut bei der Umwandlung eines langen Nachrichtenartikels in ein Podcast-Skript oder einen X-Thread (ehemals Twitter). Und auch die Conversational Search und die prompt-basierte Datenanalyse haben großes Potential. Als wir bei Taboola etwa vier Dutzend Newsroom-Aufgaben rund um Discovery, Erstellung, Optimierung und Distribution von Inhalten analysierten, stellten wir fest, dass generative KI das Potenzial hatte, bei mehr als 90 % der Aufgaben zu helfen.
Aber KI ist nicht für jede Aufgabe geeignet. Wie gut dokumentiert ist, kann generative KI bei Fakten und Zitaten unzuverlässig sein und „halluzinieren“. Dies ist einer der Hauptgründe dafür, dass Publisher eine so unterschiedliche Haltung gegenüber GenAI haben – und warum es wichtig ist, bei der Einführung einen methodischen Ansatz zu verfolgen.
Einführung von Einsatzkriterien
Zuallererst ist es wichtig, dass du die Haltung deines Unternehmens zur Verwendung von GenAI-Texten, Bildern, Audio und Video formulierst. Du hast wahrscheinlich ein Social-Media-Handbuch, in dem detailliert aufgeführt ist, was du gewährst und was nicht. Generative KI erfordert die gleiche Sorgfalt. Wofür willst du generative KI einsetzen? Und wo auf keinen Fall? Sei spezifisch, sowohl für interne als auch für externe Zielgruppen. Vielleicht gestattest du beispielsweise generative KI-Bilder – allerdings nur in technischen oder medizinischen Artikeln, um komplexe und theoretische Konzepte zu veranschaulichen. Und denke immer daran, nichts ist in Stein gemeißelt. Die Technologie entwickelt sich schnell weiter. Sei also darauf vorbereitet, deine Position und Richtlinien regelmäßig zu überdenken.
Insider veröffentlichte einen Brief des leitenden Chefredakteurs, in dem er seinen Standpunkt zur KI darlegte und dabei einen auf Experimente und Innovation ausgerichteten Ansatz verfolgte. „Ich habe mich viele Stunden mit ChatGPT beschäftigt, und bin mir sicher, dass der Zugang zur KI mich zu einem besseren globalen Chefredakteur für Insider machen wird“, sagte Nicholas Carlson in einem Memo. „Mein Fazit nach vielen Experimente mit ChatGPT: generative KI wird auch euch zu besseren Redakteur:innen, Reporter:innen und Produzent:innen machen.“
Der Guardian veröffentlichte ein ähnliches Memo, vertrat jedoch eine vorsichtigere Haltung. „Wenn wir GenAI einsetzen, konzentrieren wir uns auf Situationen, in denen es die Qualität unserer Arbeit verbessern kann, indem wir beispielsweise Journalist:innen bei der Bewältigung großer Datensätze helfen, Kolleg:innen bei Korrekturen oder Verbesserungen unterstützen, Ideen für Marketingkampagnen entwickeln oder den bürokratischen Zeitaufwand reduzieren.“ Die New York Times äußerte sich sogar noch konservativer. Der Chefredakteur Joe Kahn sagte auf dem jüngsten World News Media Congress in Taipei, dass die Zeitung „eifrig experimentiert, aber äußerst vorsichtig bei dem ist, was wir bereit sind als fertiges Produkt unseren Leser:innen zu präsentieren.“. In jedem Fall wissen sowohl Mitarbeiter:innen als auch Leser:innen, was sie erwartet.
Eine der häufigsten Bestimmungen für den Einsatz generativer KI in Redaktionen ist die externe Transparenz. Wenn ein Artikel oder Video durch KI erstellt oder erweitert wird, wird er als solcher gekennzeichnet. Associated Press verlässt sich seit Jahren auf Data-to-Text-KI, um kurze Artikel mit Vorlagen auf der Grundlage strukturierter Daten, wie beispielsweise Gewinnberichten, zu erstellen. In allen Fällen gibt es einen Verweis, in dem die Herkunft und die ursprüngliche Quelle aufgeführt sind:
„Diese Story wurde von Automated Insights (http://automatedinsights.com/ap) unter Verwendung von Daten von Zacks Investment Research erstellt.“ Auf einen Zacks-Aktienbericht zu ATRC kannst du unter https://www.zacks.com/ap/ATRC zugreifen.
Der US-Rundfunksender Tegna enthält in einem E-Mail-Newsletter einen Haftungsausschluss zur generativen KI-Unterstützung: „Der Betreff dieser E-Mail und des gesamten Textes wurden von GPT generiert.”
Botschaften wie diese können dazu beitragen, das Vertrauen der Leser:innen aufrechtzuerhalten, wobei sie auch eine zusätzliche Absicherung gegen einen fehlerhaften Einsatz darstellen. Einige Verlage wie die Washington Post haben die KI-Transparenz sogar erweitert, indem sie nicht-algorithmisch empfohlene Berichte als „handkuratiert“ oder „von der Redaktion ausgewählt“ kennzeichnen.
Auch die Leitlinien der News/Media Alliance für KI fordern eine vollständige Offenlegung: „Generative Ergebnisse sollten klare und auffällige Zuordnungen enthalten, die den Benutzer:innen die ursprünglichen Quellen zeigen und sie informieren, wenn Inhalte von GenAI generiert werden. Dies soll sie ermutigen, auch einfach und direkt zu diesen Produkten zu navigieren.”
Ein weiterer allgemeiner Leitgedanke, den Verlage hinsichtlich der aufkommenden Technologie anbringen, besteht darin, dass im Allgemeinen für alle von der Öffentlichkeit gesehenen Ergebnisse eine menschliche Überprüfung erforderlich ist. In einem Unternehmen, das auf Vertrauen und Genauigkeit basiert, sollten Tools und Arbeitsabläufe die Möglichkeit eines Validierungsschritts beinhalten, um die Verbreitung von Fehlinformationen zu verhindern. Wenn sich die Technologie mit der Zeit verbessert, wird eine umfassendere Automatisierung durchaus möglich sein. Heutzutage würde eine vollständige Automatisierung jedoch eine gewisse Risikotoleranz erfordern.
Festlegung einer Entwicklungs-Roadmap
Sobald du deinen Rahmen für die Arbeit mit generativer KI festgelegt hast, besteht der nächste Schritt darin, mit einem konkreten zu experimentieren. Wähle ein oder zwei Projekte aus, die einen Mehrwert schaffen oder ein Problem in der Nachrichtenredaktion lösen sollen. Stelle dabei eine angemessene Entwicklungszeit sicher – vermeide XXL-Projekte für den ersten Versuch. Hier willst du Fehler machen können und daraus lernen.
Setze als Nächstes ganz klare und messbare Ziele. Wenn du versuchst, Titel zu optimieren, was ist deine Definition von Erfolg? Werden Akzeptanz- und Nutzungsmetriken verfolgt, beispielsweise eine Erhöhung der Anzahl von Tests? Oder vielleicht eine Performance-Metrik wie CTR. Und wo lebt das Produkt? Wenn es sich um eine weitere Browser-Registerkarte handelt, die dein Audience-Team öffnen muss, kann das eine Akzeptanzbarriere darstellen. Und die Schulung einer Nachrichtenredaktion für ein neues Produkt verursacht Kosten, die weit über die Entwicklungsstunden oder Story Points hinausgehen. Stelle außerdem sicher, dass das Produktteam, das die generativen KI-Tools entwickelt, nicht isoliert ist. Bottom-up-Vorschläge zur Workflow-Effizienz haben den Vorteil, dass die ausführenden Team-Mitglieder am Erfolg des neuen Tools beteiligt sind.
Einer der ersten Anwender von KI-Initiativen ist Forbes. Das Content-Management-System des Herausgebers, Bertie, kann Mitwirkenden Artikelthemen auf der Grundlage ihrer früheren Interessen empfehlen. Ein:e Politikjournalist:in würde Vorschläge zum Thema Politik bekommen, während ein:e Technikjournalist:in mit Ideen aus Silicon Valley gefüttert werden könnte. Außerdem können Überschriften und Bilder vorgeschlagen werden, um die Produktionszeit zu verkürzen.
Und denke daran, du bist nicht allein. Weltweit wird viel gute Arbeit geleistet, um die Bildung zu fördern und große und kleine Verlage zu unterstützen. Das Center for Cooperative Media hat einen hervorragenden Leitfaden zur zeitnahen Nutzung und Anwendung für generative KI veröffentlicht, der sich speziell an Verlage richtet. Die JournalismAI-Initiative der London School of Economics and Political Science bietet alles von Kursen bis hin zu Case Studies.
Was kann generative KI für mich tun?
Als wir uns bei Taboola dieser Frage näherten, begannen wir damit, den End-to-End-Produktionsworkflow in einer Nachrichtenredaktion grob abzubilden. Obwohl Redaktionen unterschiedlich aufgebaut sind, sind Prozess im Allgemeinen ählich: Du hast eine Idee für etwas, über das du berichten möchtest, du sammelst Informationen, erstellst sie, veröffentlichst sie und arbeitest dann hart daran, ein Publikum für deinen Artikel zu gewinnen. Wir konnten diesbezüglich viele Aufgaben identifizieren, in denen KI vielversprechend helfen kann.
1. Entwicklungsphase
Wie kann generative KI Reporter:innen dabei helfen, den Artikel zu schreiben, der beim Publikum gut ankommt? Überraschenderweise gibt es tatsächlich viele Möglichkeiten.
GenAI kann bei der Datenanalyse, Quellenidentifizierung, Analyse von Trendthemen und Brainstorming/Ideenvorschlägen helfen. Auch ein System, das dabei helfen könnte, Nachrichten-Artikel via KI zu erstellen, ist denkbar. Aber diese Tools haben offensichtlich Grenzen. Oftmals erfordern die wirkungsvollsten und nützlichsten Artikel menschliche Intelligenz und die Intuition eines:r Journalisten:in. Generative KI hilft nicht direkt bei der Quellenentwicklung und dem Aufbau einer persönlichen Beziehung zu den Leser:innen, auch wenn sie dir möglicherweise dabei hilft, diese zu finden.
2. Erstellungsphase
Hier haben generative KI und konditionelle KI großes Potenzial, aber auch ganz klare Grenzen. KI kann dabei helfen, Artikel aus strukturierten Daten zu erstellen, Notizen zu transkribieren, Themen zu recherchieren, Inhalte passend zu bearbeiten, Inhalte zu verpacken, Inhalte in alternative Story-Formen umzuwandeln und Inhalte intelligent über Netzwerke hinweg zu teilen. Durch die Überwachung und Überprüfung von Fakten habe ich auch erlebt, dass generative KI bei der Recherche und der Erstellung überzeugender Datenvisualisierungen hilft. Aber generative KI kann keine Fotos oder Videos einer realen Protestszene aufnehmen oder Interviews mit Demonstrant:innen führen.
3. Optimierungsphase
Wir haben festgestellt, dass dies möglicherweise der beste und effizienteste Bereich für die Nutzung von KI ist. Generative KI kann bei der Übersetzung von Inhalten, SEO/SEM, der Optimierung von Überschriften, Social Shares, Browser- und nativen App-Benachrichtigungen, E-Mail-Benachrichtigungen und Newslettern, Inhaltskuratierung und Echtzeit-Datenanalyse helfen.
Wenn du einen lösungsbasierten Ansatz verfolgst, gibt es viele Bereiche, in denen generative KI einer Nachrichtenredaktion helfen kann, indem sie verwandte Links oder Titeloptionen vorschlägt und Reporter:innen hoffentlich mehr Zeit für einen besseren Einsatz ihres Potentials bietet.
Was passiert als nächstes?
Selbst wenn deine Nachrichtenredaktion nichts mit generativer KI macht, verändert sich die Welt um dich herum.
Googles Search Generative Experience (SGE) befindet sich noch in der Entwicklungsphase, aber selbst mit den jüngsten Änderungen, die mehr Quellen hervorheben, wird es wahrscheinlich zu einer Reduzierung des Empfehlungs-Traffics kommen. Wie wirkungsvoll ist das? In einer Taboola-Umfrage unter 3.700 Websites, die seit 2019 live sind, machte Google im ersten Halbjahr 2023 34 % aller Empfehlungen aus. Bei vielen einzelnen Publishern kann Google für mindestens die Hälfte aller Verweise verantwortlich sein.
Insbesondere gehen wir davon aus, dass Suchanfragen-Klicks, die sich auf die Antwort einer einfachen Frage beziehen, wahrscheinlich zuerst und am schnellsten zurückgehen werden. Suchanfragen wie „Wann ist die Weltmeisterschaft?“, „Was sagt mein Horoskop?“ oder „Reiseziele Sydney“ werden ohne einen Klick beantwortet. Die Suche nach Marken, Autor:innen und aktuellen Nachrichtenereignissen sollten dauerhafter sein. E-Commerce- und Affiliate-Links, die an die Suche gebunden sind, können nachlassen, da Fragen wie „Was ist der beste Mixer?“ angezeigt werden, ohne dass eine Website besucht werden muss. Allerdings schließt Google Bard derzeit medizinische, rechtliche und finanzielle Beratung aus, sodass diese Branchen möglicherweise eine längerfristige Chance darstellen. Du wirst wahrscheinlich nicht in der Lage sein, Suchverluste durch den Einsatz generativer KI zur Erstellung von Inhalten auszugleichen. Laut Definition von Google sind von KI erstellte Inhalte Spam und würden zu einer Herabstufung oder Entfernung führen.
Zusätzlich zu den Herausforderungen im Bereich Search dürften abonnementorientierte Verlage mit Gegenwind zu kämpfen haben. Such-Traffic führt zuverlässig zu Conversions, weit vor beispielsweise dem Social Media-Traffic. Daher wird jeder Rückgang im Such-Traffic Auswirkungen haben. Außerdem isolieren SGE/GenAI-Schnittstellen Informationen von ihrer Quelle, was das Markenvertrauen und die Markenaffinität verringert. Die Verbraucher:innen sind sich möglicherweise weniger bewusst, woher diese Informationen stammen und auf lange Sicht gesehen, weniger bewusst, wie wertvoll du als Publisher bist.
Was empfiehlt Taboola?
Experimentiere zunächst mit der Nutzung generativer KI, unabhängig davon, ob du sie selbst entwickelst oder eines der Tausenden verfügbaren Tools verwendest. Diese transformative Technologie wird nicht einfach wieder verschwinden. Nutze KI, um die Arbeit von Journalist:innen zu vereinfachen und sie von alltäglichen Aufgaben zu entlasten. Außerdem, hab Spaß beim Testen und Experimentieren.
Zweitens ist ein gewisser Verlust an Such-Traffic unvermeidlich, wahrscheinlich nicht im Jahr 2023, aber schon bald. Bereite dich vor, indem du eine Risikoanalyse darüber durchführst, was passieren würde, wenn die Suche-Klicks aufgrund von SGE- Schnittstellen wegfallen würde.
Zu guter Letzt, werde zu einer Anlaufstelle. Werde eine Quelle der Glaubwürdigkeit in einer Welt voller chaotischer Inhalte. Publisher, die in der Lage sind, direkte Beziehungen zu Leser:innen und Zuschauer:innen aufrechtzuerhalten und auszubauen, werden den größeren Erfolg erleben. Nutze und entwickele Tools, die die Distanz zwischen dir und deinem Publikum verringern. Und das ist ein Rat, der heute genauso gut ist wie in einem Jahrzehnt.